Value-Riese mit 400% Kurspotenzial

16.06.2017 | Artikel über Gazprom (ADR) (US3682872078) von Blaues Hufeisen

Zusammenfassung

  • Gazprom litt über die letzten Jahre unter rückläufigen Energiepreisen, Russland-Risiken und der Charttechnik.
  • Das Bewertungsniveau mit erwarteten KGVs von 3-5 sowie ein KBV von 0,2 sorgt für Value-Fantasie.
  • Die Bodenbildung erfolgt langfristig. Das neue Pipeline-Netz nach China ist strategisch ein genialer Schachzug.

Einschätzung

Kaufen Langfristige Anlage

Die Aktie von Gazprom zu bewerten ist wahrscheinlich das komplexeste Thema, das der Kapitalmarkt zu bieten hat. Dennoch glaube ich, dass die Aktie jetzt aus Sicht eines Value-Anlegers mittlerweile ein extrem interessantes Bewertungsniveau erreicht hat.

Gazprom ist nach Sberbank die zweitgrößte Aktie in Russland und mit 14,88% im RTS-Index gewichtet. Russland selbst ist der günstigste Emerging-Market. Dafür gibt es viele Gründe, doch irgenwann findet jede Bewertungskompression ein Ende und mit einer relativ tiefen Bewertung im Vergleich zu anderen Emerging-Markets und dem zeitgleich günstigen Niveau der EMs selbst, wird Russland von einem erneuten Investitionsbewegung in die Schwellenländer mit Sicherheit nicht ohne positive Entwicklungen bleiben. 

Gazprom könnte allein von Kapitalzuflüssen nach Russland und innerhalb von Russland auch dort von einer Umschichtungswelle profitieren, weil man die mit am günstigsten bewertete Aktie im Index ist. 

Kurzfristig wurde noch kein grünes Licht für eine unmittelbare Wende gegeben. Doch unter langfristigen Aspekten, sollten sich Anleger gleichwohl besser jetzt schon mit den Chancen bei diesem Wert beschäftigen.

Die Kursentwicklung von Gazprom war für Anleger ein Trauerspiel. 2006 wurden noch Höchstkurse gefeiert. Mit der damaligen Marktkapitalisierung von mehr als 300 Mrd. US$ machte Gazprom den Energieriesen weltweit eine starke Konkurrenz. Doch seitdem ging es kontinuierlich abwärts. Mittlerweile haben die Euro-Kurse vom Hoch rund 80% verloren.


Langfrist-Chart von Gazprom

Die schleichende Russland-Krise, vor allem die Flucht internationaler Kapitalgeber, infolge des erfolgreichen Putsches in der Ukraine, sorgten für einen weiteren Ausverkauf, der über as fundamental gerechtfertigte Maß hinausging.

Denn unter geordneten Umständen wären bewertungsmäßig wohl eher Kurse von etwa dem halben bis 60% des Buchwertes angemessen. Dies wären 8-12 € pro Aktie. Das Kursniveau steht aktuell nur mit 4 € deutlich unter diesem Niveau.

Bei den Anlegern spielt mit Sicherheit noch immer die unterschwellige Angst mit, dass Russland für westliche Anleger undurchschaubar bleibt. Es gibt immer noch Stimmen, die rufen, dass sich das Land eines Tages wieder vom Kapitalismus lossagen könnte und darum eine Verstaatlichung des Energiesektors mitsamt Gazprom möglich wäre.

Dabei hätte der blaue Riese aus Russland mit Sicherheit die ausreichende Substanz, es mit Chevron, Total, Shell & Co. aufzunehmen.

Einzelne Bewertungsparameter überzeugen durchaus:

  • KGV je nach Schätzung für den Gaspreis zwischen 3-5 - Peer-Group: 10-12
  • KBV 0,24 - Peer Group: 1,2
  • Dividendenrendite: 6,9% - Peer Group: 6%

Vor allem das extrem niedrige KBV sticht hier als größter künftiger Werttreiber hervor. Insgesamt besitzt Gazprom umgerechnet einen rund 200 Mrd. US$ Nettobuchwert, für den an der Börse gerade einmal eine Marktkapitalisierung von 46 Mrd. US$ berappt werden muss. Die Buchwerte sind zudem eher tief bewertet, weil das größte Pipeline-Netz der Welt, das mehr als 170.000 Kilometer Länge umfasst ebenfalls einen beträchtlichen Anteil an den versteckten Buchwerten besitzt.

Der Wiederbeschaffungswert dieser Pipelines würde bei einem Neubau wohl bis zu 300-500 Mrd. US$ kosten.

Ausgehend von seiner Marktdominanz und den Widerbeschaffungswerten wäre sogar ein 10X höheres Kursniveau möglich, wenn die wirtschaftlichen Ertragszahlen sich in dieser Richtung verbessern würden. Ein privatisiertes Pipline-Netz wie wir es aus den USA her kennen würde vermutlich sogar einen noch höheren Bewertungshebel ermöglichen.

Die Betonung liegt hierbei auf "möglich", denn die tiefere Bewertung hat natürlich auch seinen Grund und ist auch auf die russische Reglementierung der Inlandspreise für Gas zurückzuführen. Bei dieser Preisfestsetzung wird die Gasproduktion gewürdigt, jedoch nicht die Verteilung.

Die russischen Haushalte, vor allem Rentner, könnten mit ihren Einkommen zurzeit auch keine Marktpreise für ihr Gas bezahlen wie in Europa. Darum hält es die russche Politik für unsinnig die Preise zu liberalisieren, weil man dann gleichzeitig die Haushalte über die Sozialsysteme subventionieren müsste. 

Die Großhandelspreise für Industrieabnehmer klettern dagegen selbst in Russland seit Jahren unaufhörlich. Die neue Gasbörse in Sankt Petersburg wird die Transparenz des russischen Inlandsgasmarktes weiter verbessern und ist für Gazprom sehr positiv, auch wenn kurzfristige Dekrete, zur Preisstabilisierung immer wieder für Spannungen sorgen, so dass momentan zwar die Rubelpreise steigen, die Dollarpreise jedoch fallen.

Dies ist insofern wichtig für die Bewertung, weil der Konzern rund 1/3 seiner Umsätze im russischen Heimatmarkt erwirtschaftet, der aber 60% des verkauften und geförderten Gasvolumens ausmacht. Der europäische Exportmarkt, der für 2/3 der Umsätze und den Großteil der Gewinne sorgt, wird von 40% des Gasvolumens getragen. 

Die Entwicklung des russischen Inlandsmarktes ist darum ein Kernkriterium für die Gazprom Bewertung, der ein Stück weit unabhängig von den internationalen Gas- und Energiepreisen ist, die in den letzten Jahren ja stark rückläufig waren.

Russlands Inlandsgaspreise für Industriekunden

Der europäische Gasmarkt ist für Gazprom am Wichtigsten. 

In den letzten Jahren haben Europas Politiker immer wieder versucht die Vormachtstellung von Gazprom aufzuweichen und zum Beispiel durch Flüssiggasimporte (LNG) eine Konkurrenz zu schaffen und globale Preisniveaus für Gas zu erreichen. Teilweise mit Erfolg, denn 13% der europäischen Gasversorgung stammt mittlerweile aus LNG-Quellen.

Seine Marktanteile in Deutschland und den östlichen Ländern der EU sowie den ehemaligen Ostblockstaaten konnte Gazprom dennoch behaupten. Viele Länder werden weiterhin an den Gaslieferungen Russlands hängen. Österreich und dessen OMV-Gruppe sorgen für weitere Investitionen und verteidigen Gazprom als einen verlässlichen und sicheren Versorgungspartner. 

Es ist unwahrscheinlich, dass der Nahe Osten mit Länern wie dem Iran diese Versorgungssicherheit jemals in diesem Umfang bereitstellen werden.

Marktanteile von Gazprom in europäischen Staaten

Während sich Gazprom in Europa stärkeren Angriffen ausgesetzt sieht, konzentriert man sich zunehemnd auf die zukünftig stärker wachsenden Absatzmärkte Asiens. 

Ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt für die Bewertung wird die Ausrichtung nach Asien und China sein.

Mit den beiden Pipeline-Netzen Power-of-Siberia 1 & 2 wird sich Gazprom von der beidseitigen Europa-Abhängigkeit lösen. Gazprom schafft sich damit einen zweiten Exportmarkt. 

Es war jedoch ein grotesker und unverzeihlicher Fehler, dass sich China und Russland nicht bereits wesentlich schneller über den Bau dieser für beide Staaten überlebensnotwendigen Pipeline einigten. Gespräche wurden von politischer Seite seit mindestens 20 Jahren geführt, eine Einigung und den Baubeginn hätte man mit Sicherheit in den Boomjahren 2006/07 bewerkstelligen können. Damals war China an langfristigen Lieferverträgen interessiert und der Gaspreis entsprechend hoch. 

Einigkeit herrschte dann erst beim Gipfeltreffen mit Russland und China im Mai 2014. Allerdings musste der Deal von russischer Seite durchgeboxt wrden, was zu erheblichen Zugeständnissen an die chinesische Seite führte, so dass man die wirtschaftlichen Parameter getrost vernachlässigen kann.

Der NPV für das Projekt wäre unter Beibeahltung der russischen Gas-Exportsteuer von 30% bei einem Ölpreis von 50-60 US$ ganz klar negativ.

NPV Szenarien für die Sibirien-Pipeline 

Die Aktie von Gazprom hatte nach dieser Vertragsunterzeichnung nichts zu lachen und fuhr unter 5 € in den Keller. 

Doch es zeigt sich bei genauer Betrachtung, dass die Investition dennoch aufgehen könnte. Mit einer ermäßigten Exportsteuer von 15% oder sogar 0% und einem Ölpreis von 70-100 US$ wäre das Projekt gleichwohl mit 30 bis 90 Milliarden US-Dollar im positiven Bereich.

Beträchtliche Gasmengen werden über diese Pipeline erst ab 2025 erwartet. Bis dahin wird China seinen Inlandsgasmarkt stetig vergrößern und die internationalen Energiepreise könnten bis dahin auch robuster aussehen. Was zurzeit ein Manko für den Aktienkurs von Gazprom ist, könnte sich in den kommenden Jahren doch noch umkehren. 

Gleichwohl muss von Gazprom bis zum Jahr 2025 rund 14 Mrd. US$ in neue Pipelines und Gasinfrastruktur investiert werden. Vornehmlich natürlich in das Nord-Stream-Projekt. 

Globale Entwicklungen beim Öl und Gas sprechen für steigenden Preiszyklus

Seit einigen Jahren fallen die Öl- und Gaspreise. Es wurde zwischen 2006 und 2012 zu viel in die Förderung investiert. Erste Pleiten stellen sich nun ein und es dürfte sich für viele Energiekonzerne nicht mehr lohnen auf Expansionspfad zu gehen. 

Noch mehr als die Ölproduktion hängt die Gasförderung am seidenen Faden. Es ist davon auszugehen, dass es ohne ein höheres Preisniveau, zur Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Produktionsrate, Mitte der 2020er Jahre zu einem Abfall der Gasförderung kommen könnte. Die populäre Peak-Gas Theorie wird immer wieder zitiert. 

Das Thema Peak-Oil/Gas etc. ist sicher ein komplexes Thema, das aufgrund der physischen Eigenschaften der Gasproduktion seine Berechtigung hat. Tatsächlich dürfte der drohende Rückgang der Produktion jedoch weniger dramatisch ausfallen oder ganz ausbleiben, wenn das Preisniveau hoch genug ist, um Zukunftsinvestitionen in neue Öl- & Gasfelder zu rechtfertigen. 

Für heute soll dieser zaghafte Hinweis genügen.

Fazit

Aus strategischer Sicht erlaube ich mir die Gazprom-Aktie als vollkommen unterbewertet anzusehen. Die Kurse könnten, wenn die Voraussetzungen stimmen, bis zu 400% steigen. Das würde ein Kursziel von 20 € bedeuten. 

Allerdings nicht auf Sicht von 1-3 Jahren, sondern eher auf Sicht von 8-12 Jahren (2025-2029). Eine teilweise Liberalisierung des russischen Inlandsmarktes und eine leicht bessere Entwicklung der China/Asien-Exporte als gegenwärtig erwartet wird reicht dafür vollkommen aus. In Zwischenzeit wird der halbwegs stabile Absatzmarkt Europas den Aktienwert stützen.

Es wäre allerdings vorstellbar, dass in den nächsten Jahren noch einmal eine Dividendenkürzung erfolgt. Anleger sollten sich also nicht von der augenblcklich extrem attraktiven Dividendenrendite von etwa 7% blenden lassen.

Mit seinen unabhängigen Entwicklungsstrategien für Europa, Asien und den eigenen Inlandsmarkt in Russland hat Gazprom drei Geschäftsbereiche, die für sich allein genommen je einen deutlichen Bewertungsspielraum für die Aktie besitzen. Aktuell ist die Erwartungshaltung für alle drei Bereiche am Boden, so dass vielleicht nicht alle Potenziale in Zukunft aufgehen, es aber auch nicht mehr viel schlechter werden kann.

Darum sollten Value-Sammler diese Aktie auf den Schirm nehmen und langsam kaufen. 

Langfristig lohnt sich das einsammeln der Gazprom-Aktien unter einem Kursniveau von 4 € allemal. Teilverkäufe können immer zwischen 5-6 € erfolgen und schlussendlich besteht mittelfristig (1-2 Jahre) die Chance, dass sich der Kurs in Richtung von 6-8 € entwickelt.

Kurzfristig erwarte ich ebenfalls einen Boden für die Aktie. Der Ölpreis, der für die Berechnung der Gasexportpreise herangezogen wird, dürfte sich im 2. Halbjahr stabilisieren. Kurzfristig wäre darum vom aktuell extrem tiefen Bewertungsniveau jederzeit ein Anstieg in Richtung 5-6 € gerechtfertigt. Hierzu werde ich gegebenenfalls einen gesonderten Artikel mit einer weiteren kurzfristigen Kaufempfehlung verfassen.

Offenlegung von eigenen Positionen

Ich halte keine Position (direkt oder über Derivate) in der in dem Artikel behandelten Aktie.

Offenlegung von Geschäftsbeziehungen

Ich habe diesen Artikel selbst geschrieben und meine eigene Meinung wiedergegeben. Ich erhalte keine Vergütung für diesen Artikel (außer ggf. von Spekunauten). Ich habe keine Geschäftsbeziehungen mit einem der im Artikel genannten Unternehmen.

    Kommentare (6)

  • Schakal vor über 6 Jahren

    Das US-Repräsentantenhaus brachte gestern mit großer Mehrheit einen Gesetzesvorschlag (oder Strafkatalog) auf den Weg, der neue Sanktionen gegen Russland, dem Iran und Nordkorea zum Ziel hat. Dieser Entwurf muss noch den Senat passieren und vom US-Präsidenten abgesegnet werden. Für Gazprom könnte es – so der Entwurf alle Hürden nimmt - weitreichende Folgen haben, denn die Sanktionen könnten dann u.a. den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 – also dem Schlüsselprojekt von Gazprom und seinen europäischen Partnern – massiv beeinträchtigen.

    GAZPROM: Au backe! | wallstreet-online.de - Vollständiger Artikel unter:
    https://www.wallstreet-online.de/nachricht/9768644-gazprom-au-backe

  • Schakal translation missing: de.datetime.time_ago_in_words.almost_x_years

    Langfristig was für das Portfolio

  • CentTrader translation missing: de.datetime.time_ago_in_words.almost_x_years

    Vorhin auf Tradegate schon mal 3,411 €. Kann nicht mehr lange dauern bis zur ersten Kaufzone 3,30 €.

  • Spekulatius translation missing: de.datetime.time_ago_in_words.almost_x_years

    Super Artikel! Aber ist Gazprom vom KGV her nicht schon immer sehr billig gewesen? Nicht falsch verstehen: Jetzt ist sie sehr billig, aber ein KGV von 10 wird sie wohl nie erreichen!?!

  • CentTrader translation missing: de.datetime.time_ago_in_words.almost_x_years

    Eine Super-Aktienbesprechung mit vielen fundierten Informationen und klaren Schlußfolgerungen! Hut ab! Danke! Habe Gazprom auf der WL und wenn tatsächlich ca. 3,30 € erreicht werden, nehme ich ein Häppchen. Ob das dann länger liegenbleibt oder bald wieder weggegeben wird, wird man sehen. Schon klar, daß auch 3,57 günstig ist, aber ein CentTrader heißt ja nicht ganz umsonst so und mit den Limits bin ich sehr pingelig, auch wenn einem dadurch Vieles durch die Lappen geht.

    Schakal vor über 6 Jahren

    3,30 Euro bald in Sicht !

  • Hai translation missing: de.datetime.time_ago_in_words.almost_x_years

    Zustimmung

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8 Kommentare